Wann ist ein Kunstwerk abgeschlossen? Wenn es vom Künstler zu Ende gedacht, zu Ende gemacht ist, oder wenn es vergangen und zu Staub zerfallen ist? In der Tat dauert der Produktionsprozess potentiell unendlich lange fort, solange das Werk von Menschen betrachtet und in immer neuen Seeweisen bedacht wird, eine Entwicklung, die sogar über das physische Verschwinden des Kunstwerks hinausgehen kann, solange dieses nur als Idee noch weiterbesteht.
Ogawas Skulpturen verkörpern auf ganz eigene Art die ideelle Beweglichkeit des Kunstwerks, die eigentlich eine Bewegbarkeit ist, in einer materiellen Struktur. Das Modularsystem, nach dem er in den trigonometrischen Grundformen Kubus, Kugel und Pyramide maximal komplexe Variationen eröffnet, ist mechanistisch in einem denkbar eleganten und spielerischen Sinn. Das poetische Bild vom Künstler, der aus dem rohen Steinquader mit seinem Meißel einen Körper freilegt, der dort – neben unendlich vielen anderen – als konkrete Möglichkeit geschlafen hat, wird in Ogawas Skulpturen zum konkreten Spiel; einem Spiel, das seinen Ursprung allerdings weniger im groben Stein hat, sondern vielmehr in der Tradition des Origami, der Kunst des Papierfaltens, gesehen werden kann.
Von grundlegender Bedeutung ist dabei, dass die Handhabung seiner Konstruktionen, das Auf-, Um- und Zuklappen, das Auseinandernehmen und anders Wiederzusammensetzen zwar immer möglich, jedoch für ein "Funktionieren" der Werke nicht unbedingt vonnöten ist. Mindestens so faszinierend wie das reale Spiel ist die Betrachtung der Körper im jeweiligen "Ruhezustand" und die Bewegung im Geiste, das sukzessive Durchdenken der möglichen Wege seiner Gestalt Veränderung.
Die Ambivalenz zwischen der erratischen Geschlossenheit und einer wandelbaren Offenheit, die zugleich regelmäßig und chaotisch ist, macht Ogawas Skulpturen unbestimmbar im Sinne des traditionellen Werkbegriffs. Anstelle von einer definitiven Formfindung geht es hier um den Entwurf und die Konstruktion eines real begrenzten Arsenals von Verwandlungsmöglichkeiten. Entscheidend ist, dass dieses Arsenal, d.h. die Struktur des Künstlers eindeutig festgelegt ist. Anders als in der "interaktiven Kunst" im derzeitigen Sprachgebrauch bringt sich der Betrachter/ Benutzer nicht als wirklich frei gestaltendes, sich latent immer selbst darstellendes Subjekt ein, sondern er ist vielmehr ein klaren Regel/Funktionsmechanismen folgender Akteur. Ogawas Spiel-Körper fordern in ihrer raffinierten, hochästhetischen Einfachheit ihr menschliches Gegenüber zur Ruhe auf, zum meditativen Sich-Versenken in die elementaren Mechanismen der Metamorphose. Die Formvollendung ergibt sich aus der Formverwandlung.
Thomas Huber